Laufschuh gegen SUP

Laufschuh gegen SUP: Zwei Abenteurer bezwingen die Elbe

Mit SUP-Board und Laufschuhen die Elbe hinunter: Erlebnisbericht einer einzigartigen Reise

Sie sind Extremsportler, wie sie im Buche stehen: Philipp Jordan läuft gerne mal 100 Kilometer am Tag, Timm Kruse paddelt mit dem SUP nach Feierabend von Kiel nach Lübeck. Jetzt haben sie gemeinsam die Elbe bezwungen, der eine an Land, der andere auf dem Fluss. Jeden Tag legten sie mindestens eine Marathon-Strecke zurück und trafen sich abends am Lagerfeuer, um sich über ihre Erlebnisse und schmerzenden Füße auszutauschen.

In diesem außergewöhnlichen Reisebericht können Sie die gesamte Strecke der beiden Abenteurer nachverfolgen. Von der tschechischen Grenze bis in den Hamburger Hafen sind Sie in unterhaltsamen Texten und atemberaubenden Fotos hautnah dabei. Für die Extraportion Spannung fordern sich die Sportler unterwegs gegenseitig mit actionreichen Challenge-Aufgaben heraus – so haben Sie Outdoor-Sport noch nie erlebt!

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Leseprobe

 

Philipp :

Ich sitze gerade auf meinem Bett und befinde mich in Schmilka, nahe der tschechischen Grenze. Mein Hotelbett ist wirklich nur einen Steinwurf von der tschechischen Grenze entfernt. Sofern man durch Hotelwände schmeißen kann und besser schmeißt als ich. Morgen geht es endlich los. Das große Abenteuer. Zu zweit die Elbe runter.  Aber wieso um alles in der Welt kommt man auf die Idee, noch einmal mit einem Ziehwagen einen Fluss entlang zu laufen? Und war das überhaupt meine Idee?

 


Vor einem Jahr kam mein Buch #Fatboysrun heraus. Coronabedingt fiel die Leipziger Buchmesse ins Wasser – keine Lesungen, keine Buch-Tour, kein Blitzlicht, keine kreischenden Groupies, kein Stage Diving, nix, nada. Stattdessen hat mir der Verlag Timm Kruse geschickt, der mich für seinen Podcast Meilen und Zeilen zu meinem Buch interviewen wollte.

 

Drei Jahre waren vergangen, seitdem ich zwei Wochen lang jeden Tag den Rhein aufwärts mehr als eine Marathondistanz gelaufen bin. In der Zwischenzeit bin ich wieder fett geworden. Zumindest verdammt füllig für einen Langstreckenläufer. Ich lief zwar noch ab und zu, aber lange nicht mehr mit der Regelmäßigkeit, lange nicht mehr mit demselben Enthusiasmus, den ich drei Jahre vorher an den Tag gelegt hatte.

 

Und dann passierte es. Timm fragte mich mitten im Podcast, ob ich nicht Bock hätte mit ihm zusammen nochmal einen Fluss zu bereisen. Ich wieder zu Fuß und er eben stehend auf einem Surfbrett. Mit Paddel. Sie kennen das ja vielleicht aus dem Urlaub. Man sieht sie oft auf Badeseen. Diese Menschen, die aus dem vielleichten coolsten Sportgerät des Planeten, das eigentlich für Action, Freiheit und unendliche Lockerheit steht, den wohl uncoolsten Sport der Sportgeschichte machen - SUPen.

 

Und jetzt die Elbe? Von der tschechischen Grenze bis ans Meer? Und ich Depp hör mich sagen: “Ja, warum nicht? Muss mal gucken.“

 

Eine Frage und eine Antwort, die – und ich übertreibe nicht – mein Leben komplett verändern sollte. Zumindest das folgende Jahr. Denn keine Woche später war eine Mail mit einem angehängten Exposé in meinem Postfach. Ein Exposé für ein gemeinsames Buch. Dieses Buch, das sie gerade in ihren Händen halten. Aber bevor ich mir das überhaupt zu Gemüte führen konnte, war eine Woche später eine weitere Mail in meinem Postfach. Dieses Mal von meinem Lektor. Mit Timm Kruse im CC. Das Buch sei durch die Verlagskonferenz und wenn wir irgendwann im Frühling das Abenteuer starten könnten, könne das Buch irgendwann im August in Druck gehen.

 

Was? Wie? Das ging jetzt aber verdammt schnell. Ein Blick vom Computerschirm nach unten auf meine fette Wampe und wieder zurück. Oha. Auf was haste dich da eingelassen? „Ja, warum nicht?“ Eigentlich gäbe es da einen reich gedeckten Tisch mit genügend Gründen, warum nicht. Ich war zu dem Zeitpunkt besser geeignet, ein Buch über Sumo Wrestling zu schreiben, als über ein Laufabenteuer. Ich konnte kaum fünf Kilometer laufen ohne keuchend zusammenzubrechen. Aber vier Wochen täglich eine Distanz nah am Marathon?

 

Mir saß die Angst im Nacken. Je länger ich drüber nachdachte desto mehr Bock hatte ich. Aber gleichzeitig stieg auch die Furcht, der Respekt, die Achtung vor so einer Strecke. Eigentlich bin ich ja der Typ, der andere überrollt. Derjenige, der andere mitzieht, überredet, ja geradezu manipuliert, Dinge zu tun, die sie eigentlich überhaupt nicht tun wollen. Und jetzt war ich auf der anderen Seite. Und Timm hatte meine Rolle übernommen Und da fing es an.

 

Das Laufen wurde wieder Teil meines Alltags. 113,6 Kilogramm wog ich, und ich war nicht mal schwanger zu der Zeit. Einfach nur unglaublich fett. Anfangs lief ich im Watscheltempo drei Kilometer mit einer Geh Pause. Dann steigerte ich mich zu fünf Kilometern. Die Pfunde purzelten und die Kilometer häuften sich.

 

Aus langen Runden von acht Kilometern, wurde die regelmässige10er-Runde.  Ich durchbrach die 110 Kilogramm Schallmauer, danach die 100 Kilogramm, und praktisch im Vorbeigehen ließ ich mein Gewicht vom letzten Rheinabenteuer auch hinter mir. Inzwischen kann ich auch wieder viel laufen. Habe mein Monatspensum wieder an die 300 Kilometer herangebracht. Es lässt sich schwer in Worte fassen, wie viele Glücksmomente mir diese Transformation geschenkt hat. Ich könnte manchmal heulen aus tiefer Dankbarkeit. Im Gegensatz zu Timm bin ich kein spiritueller Mensch. Er glaubte einer alten Frau aufs Wort, als sie ihm erzählte, sie würde sich nur von Sonnenlicht ernähren. Er war Chauffeur für einen Guru in Indien. Ich hätte die alte Frau wahrscheinlich innerlich ausgelacht und den Guru als narzisstischen Betrüger abgestempelt und ihm ein Taxi gerufen. Ich bin also so spirituell wie eine Eieruhr…und das schon auf fast unsympathische Weise.

 

 Aber in diesem Jahr, das nun hinter mir liegt, habe ich doch etwas festgestellt. Ich will es nicht direkt spirituell nennen, aber es fühlt sich doch wie eine höhere Erkenntnis an. Ich habe wieder gemerkt, dass das wahre Glück in uns liegt. Dass der Komfort und das, was wir Luxus nennen oft pures Gift sein kann. Das kalte Glas Cola nach einem langen Lauf durch die Hitze schmeckt so gut, das kriegt ein Champagner im edelsten Golfclub nie hin. Die harte Bank am Wegesrand, auf die man sich verschwitzt nach 30 Kilometern setzt, ist so viel angenehmer als der teuerste (und meinetwegen mit Nashornleder überzogene) Massagesessel der Welt.

 

Und schwitzend durch die Natur laufen ist bestimmt das höchste, was ein Mensch erreichen kann. Da gehören wir hin. In den Wald. Da fühle ich mich eins mit jedem Vogel, der da vor sich hin zwitschert. Im Grunde bin ich schon jetzt der große Gewinner dieser Challenge, weil ich Gewichts massig der größte Loser war.

 

Und das alles verdanke ich ja doch zu großen Teilen Timm. Diesem Typen, den ich ja eigentlich gar nicht kenne. Und doch verbindet uns etwas. Wir haben inzwischen beide unglaublich viel Lust auf dieses Abenteuer. Wir haben beide dasselbe Ziel. Gemeinsam die Elbe hinunter. Von der tschechischen Grenze bis nach Cuxhaven an der Nordsee. Gegen und mit unseren Körpern den Kilometern strotzen. Gegen und mit der Natur diesen Fluss bezwingen, dem nichts egaler sein könnte, ob wir es bis ans Meer schaffen. Ich habe inzwischen sein Buch gelesen, das seinen Paddeltrip an der Biskaya erzählt. Jetzt habe ich noch mehr Lust auf unser Abenteuer.

 

Und just liege ich in Schmilka in einer malerischen Schlucht wenige Meter neben einem alten Mühlrad auf meinem Bett und freue mich nach dieser langen Zeit, morgen früh endlich starten zu können. Die letzten Tage waren hektisch. Ich schlafe unruhiger. Ich freue mich so sehr mir meinen Ziehwagen umzuschnallen und endlich loszulaufen. Warm werden. Schwitzen. Nur noch einen Fuß vor den anderen setzen zu müssen. Dann wird aller Stress von mir abfallen. Es wird sehr anstrengend werden, es wird schmerzen, aber das macht alles so viel einfacher. Nur einen Fuß vor den anderen. Links, rechts, links, rechts. 800 Kilometer lang. Wenn doch nur alles im Leben so einfach wäre.

 

 

 

 

 

Timm:

Schon die Anfahrt ist eine Katastrophe; so sollte ein Abenteuer nicht beginnen: kurz vor der tschechischen Grenze fliegt uns das Getriebe um die Ohren. Unter der Motorhaube gellt ein kurzer, schriller Todesschrei auf, es folgt ein entsetzliches Röcheln, irgendein Eisenteil fällt aus dem Motorraum und klimpert die Landstraße herunter, der fünfte Gang streikt, und schließlich blockiert die gesamte Maschine. Und das verrückterweise 300 Meter vor unserem Hotel. Im tiefsten Sachsen.

 

Als wir dem ADAC erzählen, dass das Gefährt 35 Jahre alt ist und 330.000 Kilometer runter hat, zieht der Gelbe Engel die Brauen hoch, sagt unerklärlicherweise „Nü“, fährt die Rampe seines Transporters aus und zieht die drei Tonnen auf Rädern hoch auf die Ladefläche.

 

Ursprünglich war das Wohnmobil als Begleitfahrzeug für unsere Tour gedacht. Als Fahrer wurde uns Cäptn Clepto zugeschanzt – ein Hamburger Urgestein und Original: lang, dünn, um die 50 und von viel Lebenserfahrung gezeichnet, Hufeneisenbart, gesprächig, von Gemüt Stoiker, Antifa-Sticker, St. Pauli-Schal, Kapitänsmütze á la Jack Sparrow. Genau der richtige Mann für so eine Tour; den bringt nichts aus der Ruhe, der findet in den elendsten Situationen noch einen abstrusen Spruch und versteht sich und das Leben als lustiges Kunstwerk, das jeden Tag gefeiert werden sollte. Sein optisches Vorbild scheint Gonzo aus der Sesamstraße zu sein. Vielleicht ist es aber auch Lucky Luke mit dem Grashalm im Mund.

 

Dass der Cäptn jetzt in einem ADAC Clubmobil sitzt, noch dazu einem Opel, passt so wenig zusammen wie der HSV und erfolgreicher Fußball. „Da sind wir ja in unserem Elb-Dorado angekommen“, grunzt er und wirft dem Vectra einen verächtlichen Blick zu. Im normalen Leben bewegt er sich in einem bunt gesprayten Transit – Hamburger Hafenstraßen-Stil.

 

Als das Wohnmobil noch rollte, hatten wir nach fünf langen Stunden von Hamburg nach Dresden Philipp vom Bahnhof abgeholt. Wir haben bestimmt schon hundert Mal gefacetimed, unzählige Sprachnachrichten und Mails verschickt und doch war ich überrascht, wie anders er in Natura wirkt. Fast ein bisschen schüchtern, gar nicht so draufgängerisch wie am Telefon. Ich bin extrem erleichtert, dass er mir auch in Natura richtig sympathisch ist – fast noch sympathischer als auf dem Bildschirm.

 

In einem früheren Gespräch hatte er mir gesagt, dass er sehr harmoniebedürftig sei; und genau das strahlt er aus. Etwas Liebes, Wahrhaftiges. Als Tier wäre er ein Bär – vielleicht ein Tanzbär. Mit Glatze und Dreitagebart. Auf seinen Armen prangen Comic-Tattoos, Zeichnungen seiner Kinder. Warum er pinkfarbene Socken und eine gelbe Brille trägt, frage ich ihn später mal.

 

Philipp gehört zu dieser seltenen Gattung Mann, die immer gute Laune hat. Und wenn nicht, dann tut er einfach so. Ihm scheint es wichtig zu sein, dass es den Menschen um ihn herum gut geht – denn dann geht es ihm gut. Was für eine einfache, schöne Rechnung, um möglichst unbeschwert durchs Leben zu kommen.

 

Am späten Nachmittag trudelt Jonas, unser Fotograf per e-Bike ein. Im Anhänger sein Sohn Lijus und eine riesige Tasche voller Equipment. Jonas ist die halbe Strecke von Dresden ohne Akku durch den Regen gefahren und sieht nicht so aus, als hätten er dabei sonderlich viel Spaß gehabt. Jonas ist schwer einzuschätzen, hält Menschen erst einmal auf Distanz und wartet ab. Genau wie sein Sohn, ist er niemand, der anderen sofort vertraut oder der sich grundlos öffnet. Aber das wird schon kommen. Vielleicht ist es gut, wenn wenigstens einer von uns introvertiert ist, nicht jedem sofort seine Lebensgeschichte aufs Ohr drückt und Redequantität mit Inhalt verwechselt.

 

Abends stehen wir vier am Ufer und schauen auf die Elbe direkt an der tschechischen Grenze. Jonas macht ein paar Bilder, der Cäptn schüttet einen Schluck Bier in den Fluss, um die Götter zu besänftigen, Philipp unterhält sich mit allen und keiner hört zu. Und ich? Ich habe ein flaues Gefühl im Magen und weiß nicht, ob diese Reise gut enden wird. Aber das kenne ich schon von mir. Mein Optimismus verlässt mich zuverlässig, wenn ich auf dem Startblock stehe und ins Wasser springen muss.

 

Irgendwann gehen wir langsam zurück ins historische Schmilka mit den Fachwerkhäusern und wohl gepflegten Vorgärten. Ich stelle mir kurz vor, in diesem schweigenden Dorf zu Hause zu sein und schaudere.